Das 360-Grad-Feedback ist eine Methode zur objektiven Beurteilung von Leistungen und Perspektiven (Potenzialen) von Fach- und Führungskräften. Das Feedback kommt zum einen von der Zielperson selbst und zum anderen von Vorgesetzten, Mitarbeitern, Kollegen und gegebenenfalls (internen oder externen) Kunden.
Aus dem Vergleich von Selbst- und Fremdbild lassen sich gezielte Maßnahmen für die effiziente Förderung der Fach- und Führungskräfte ableiten. Zudem bekommt die Geschäftsführung ein realistisches Bild von der Führungskultur und Hinweise zur Effektivität des Führungsverhaltens, weil dieses einen entscheidenden Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg hat.
Die nachfolgende Grafik zeigt zusammenfassend verschiedene Varianten. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Stärken, Schwächen und Potenziale ein Kandidat hat, und welche Kompetenzen er (oder sie) entwickeln sollte, um seinen Verantwortungsbereich (wirtschaftlich) erfolgreich zu führen.
Je mehr Informations-Quellen man nutzt, desto objektiver und zuverlässiger ist die Beurteilung. Mit "subjektiven Eindrücken" einzelner Personen oder mit "Assessment Centern" haben die Unternehmen die schlechtesten Erfahrungen gemacht.
Abbildung 1: 360-Grad-Feedback: Varianten von 90 bis 450 Grad
Je nach Ziel, kann man verschiedene relevante Personengruppen mit deren Blickwinkeln und Erfahrungen mit der Zielperson (dem Feedbacknehmer) in die Beurteilung einbeziehen. Damit liefert das 360-Grad-Feedback eine evidenzbasierte Unterstützung bei wichtigen Personalentscheidungen. Voraussetzung ist immer ein validierter Fragebogen, wie noch zu zeigen sein wird.
"Feadback really is the breakfast of champions. It provides a way to turn experience and practice into improved performance" (Manfred KETS de VRIES)
Eine realistische und "gerechte" Beurteilung von Fach- und Führungskräften ist eine der schwierigsten und sensibelsten Aufgaben im Management. Das gilt vor allem für die Führungskräfteentwicklung. Die Herausforderung ist eine möglichst objektive und zuverlässige (valide) Beurteilung (Diagnose) der Fähigkeiten (Stärken und Schwächen) sowie der Potenziale (Zukunftsperspektiven) von Führungs- und Nachwuchskräften. Die nachfolgende Grafik zeigt ein Beispiel, wie unterschiedlich Selbst- und Fremdbild ausfallen können.
Abbildung 3: Beispiel: Selbst- und Fremdbild einer Führungskraft
Wichtig: An dieser Stelle sei nochmals ausdrücklich betont, welche negativen Konsequenzen es hat, wenn ein solches Ergebnis durch einen nicht validierten Fragebogen zustande kommt (siehe dazu die Seite zum Thema Fragebogen)
Hat man die am besten geeigneten Kandidaten (aufgrund der Persönlichkeit) ausgewählt, folgt darauf die Einschätzung (Diagnose) der Kompetenzen (Stärken und Schwächen). Dabei sollte man beachten, dass man von einer Stärke nur in Bezug auf die Aufgabe sprechen kann.
Eine Führungskraft im Controlling benötigt völlig andere Kompetenzen als ein Manager im Vertrieb oder in der Verwaltung. Wichtig ist auch die Hierarchie-Ebene: oberes, mittleres oder unteres Management beziehungsweise Potenzialträger).
Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Festlegung der relevanten Kompetenzen können auch die Karriereziele des Kandidaten sein. Ausführliche Informationen dazu finden Sie auf der Seite "Karrieremöglichkeiten".
Ein 360-Grad-Feedback liefert eine Stärken-Schwächen-Analyse, wie sie in der Abbildung 4 visualisiert ist:
Bei er Analyse von Stärken, Schwächen und Potenzialen (Chancen) sollten man die Ziele und Aufgaben der Zielperson beachten. Wenn jemand General Manager werden möchte, dann sind völlig andere Stärken und Schwächen relevant, als wenn er (oder sie) eine Aufgabe in einer Stabsabteilung anstrebt.
Und selbst im General Management können sehr unterschiedliche Stärken und Schwächen relevant sein. Man denke nur an den Unterschied zwischen Selbstständigen, Unternehmern und angestellten Managern.
Abbildung 4: Persönliche (Stärken-Schwächen) SWOT-Analyse
Eine Stärken-Schwächen-Analyse mit einem validierten Fragebogen ist eine wissenschaftlich fundierte Grundlage einen persönlichen Entwicklungsplan. Diesen können Sie selbst erarbeiten oder zusammen mit einem Coach durchführen. Weitere Informationen dazu finden sie unter den folgenden Links:
Ein bekanntes Unternehmen aus dem IT-Bereich hat in den 1980er Jahren nach Führungskräften gesucht, die die gleichen Eigenschaften und Kompetenzen haben wie das damalige Top Management Team. Das führte an den Rand des Ruins. Daraus haben viele Unternehmen gelernt und legen den Fokus auf die Zukunft.
Die nachfolgende Grafik soll die Ziele sowie den Sinn und Zweck dieser Methode zusammenfassend veranschaulichen: Im Kern geht es darum, die Kompetenzen der Führungs- und Fachkräfte auf die Anforderungen der Zukunft auszurichten.
Durch ihre Vorbildfunktion haben Führungskräfte den größten Einfluss auf das Verhalten und somit die Produktivität der Mitarbeiter.
Abbildung 5: Leistung und Produktivität optimieren
Ohne konstruktives Feedback ist eine Verbesserung der Leistungen sowie der Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit zur Steigerung der Produktivität kaum denkbar. Das gilt auch für die Anpassung der Qualifikationen an die zukünftigen Rahmenbedingungen.
Von allen Beurteilungsmethoden hat sich das 360-Grad-Feedback in der Praxis am besten bewährt (zum Beispiel gegenüber dem Assessment Center, dem Biographischen Interview oder dem Management-Audit). Es hat einfach ein überlegenes Preis-Leistungs-Verhältnis.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die direkte Leistungsbeurteilung mit dem 360-Grad-Feedback nicht sinnvoll ist, weil dies die Aufgabe des disziplinarischen Vorgesetzten ist. Vielmehr kommt es darauf an, Kompetenzen zu fördern, die einen unmittelbaren Einfluss auf die Leistung haben. Und das ist nur mit einem validierten, unternehmensspezifischen Fragebogen möglich (siehe dazu die Seite zum Thema Fragebogen).
Die Einstellung, Auswahl und Beförderung (Entwicklung) ungeeigneter Kandidaten gehört zu den teuersten Fehlentscheidungen im Unternehmen.
Das betrifft nicht nur den materiellen Aspekt (Kosten), sondern auch die Auswirkung auf das Arbeitsklima und die Unternehmenskultur (mit wirtschaftlichen Folgen).
Unser Forschungsprojekt hat gezeigt, dass das 360-Grad-Feedback für die direkte Leistungsbeurteilung nicht geeignet ist, weil diese Aufgabe zur nicht delegierbaren Verantwortung des disziplinarischen Vorgesetzten gehört.
Ein besonderes Thema sind Charaktereigenschaften (Persönlichkeitsmerkmale) und Wertvorstellungen der Kandidaten und (zukünftigen) Führungskräfte. Dieses Thema wird auf folgenden Seiten vertieft:
Grund: Die Persönlichkeit eines Menschen ist im Vergleich zu Kompetenzen nur schwer oder gar nicht veränderbar. Aus diesem Grund fokussierte sich die Führungskräfteentwicklung in den letzten 30 Jahren auf relativ einfach erlernbare Kompetenzen.
Dieser Trend hat sich, so das Ergebnis unserer Studie, inzwischen umgekehrt. In den am besten geführten Unternehmen hört man die Überzeugung, dass es wesentlich effizienter sei, die "richtigen" Kandidaten auszuwählen als "viel Geld" in die Entwicklung zu investieren.
Ein wesentlicher Grund für diese Trendumkehr sind Fortschritte in der Management-Diagnostik, die validierte Test- und Auswahlverfahren einsetzt. Ein Beispiel sind die Normen der DIN 33430, die vor unsachgemäßen Methoden der Personalentwicklung schützen sollen.
Diese Trendumkehr macht einen "alten" Grundsatz der Personalarbeit wieder populär, der besagt, dass ein Gramm Auswahl genauso viel wiegt wie ein Kilogramm Schulung - mit dem Unterschied, dass die Forschung in den letzten Jahren validierte und zugleich effiziente Testverfahren entwickelt hat.
Das 360-Grad-Feedback hat sich in der Praxis als äußerst effiziente Methode der Management-Diagnostik erwiesen. Das gilt sowohl für die Auswahl von Kandidaten als auch für die Förderung von Kompetenzen der Fach- und Führungskräfte (sofern validierte Methoden verwendet werden). Siehe dazu die Kritik an der Personalentwicklung zum Beispiel durch Fredmund Malik, Uwe Kanning oder Viktor Lau, der den Begriff „Management-Esoterik“ geprägt hat.
Es ist wichtig, zwischen (leicht erlernbaren) Kompetenzen und kaum oder gar nicht veränderbaren Wertvorstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen (Charaktereigenschaften) zu unterscheiden. Was das für die Personal- und Führungskräfteentwicklung bedeutet, ist auf der speziellen Seite 360-Grad-Beurteilung von Führungskräften ausführlich dargestellt.
Fazit: Bei der Einstellung und Auswahl von Führungskräften und Potenzialträgern sollte man vor allem auf die Persönlichkeitsmerkmale achten. Bei der Veränderung des Führungsverhaltens sollte man vorwiegend auf die Kompetenzen achten!
Eine Übersicht mit den wichtigsten Persönlichkeitsmerkmalen, Werten und Führungskompetenzen finden Sie auf der Seite Stärken und Schwächen Liste. Die nachflogende Grafik gibt dazu einen Überblick:
Abbildung 6: Was kann man ändern und was nicht: Persönlichkeit, Werte oder Kompetenzen
Eigeninteresse nutzen
Die erste Maßnahme ist die Verknüpfung des 360-Grad-Feedbacks mit dem persönlichen Erfolg der Führungskraft. Dieser Erfolg ist zum einen davon abhängig, dass sie die „richtigen“ Mitarbeiter mit den „richtigen“ Kompetenzen an den „richtigen“ Stellen einsetzen. Es klingt trivial, ist in der Praxis aber nicht selbstverständlich:
Es gibt nur einen Grund warum ein Vorgesetzter die Verantwortung für Mitarbeiter bekommt: sie sollen ihn erfolgreicher machen. Ein 360-Grad-Feeback muss so gestaltet sein, dass es an dieses Eigeninteresse (den persönlichen Erfolg) der Führungskraft anknüpft.
Ans operative Geschäft ("harte" Kennzahlen) anbinden
Die zweite Maßnahme zielt auf die Tatsache, dass Führungskräfte letztendlich am wirtschaftlichen Erfolg und ihrem Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensziele gemessen werden.
Der Unternehmenserfolg wird in der Regel durch Kennzahlen (Key Performance Indicators) gemessen. Beispiele sind Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit als langfristige und Liquidität oder Rendite als kurzfristige Erfolgsindikatoren.
Bei der Auswahl der Kompetenzen für ein 360-Grad-Feedback muss ein klarer Bezug zu den lang- und kurzfristigen Erfolgskriterien (Kennzahlen) erkennbar sein. Das verstärkt das Eigeninteresse. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht diesen Zusammenhang:
Abbildung 7: Umsetzung in der Praxis (Beispiel)
Die dritte Maßnahme besteht aus allen Folgemaßnahmen. Dazu gehört die Erarbeitung eines kurzfristigen und eines langfristigen persönlichen Entwicklungsplans.
Bei dem kurzfristigen Plan geht es darum, aus den etwa 50 bis 70 Verhaltensbeschreibungen eines Fragebogens, diejenigen auszuwählen, die schon in den nächsten Tagen ohne großen Aufwand umgesetzt werden können. Das erzeugt unmittelbare Erfolgserlebnisse für die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter.
Beim langfristigen Entwicklungsplan geht es um die Auswahl und Förderung von Kompetenzen, die für die langfristigen beruflichen Perspektiven relevant sind. Klare, realistische und überzeugende berufliche Perspektiven haben die größte Motivationskraft.
Eine Verstärkung der Wirksamkeit dieser Pläne erzielt man, wenn die Führungskraft (der Feedback-Nehmer) diese mit seinem disziplinarischen Vorgesetzten bespricht und entsprechende Konsequenzen vereinbart und deren Umsetzung kontrolliert.
Schließlich können Entwicklungsmaßnahmen wie zum Beispiel neue Aufgaben, Mentoring, Coaching und Training zur Verstärkung der Verhaltensänderung beitragen, wenn sie in ein System der Leistungs- und Potenzialentwicklung eingebunden werden. Siehe dazu die Seite Erfolgsfaktoren.
Verbessern Sie Ihre Kompetenzen mit unserem
Führungskräfte-Coaching
3D Group, Current Practices in 360 Degree Feedback: A Benchmark Study of North American Companies, Emeryville, CA 2013
Bartholomew, S., Craig, K., 360-Degree Performance Assessment, in: Consulting Psychology Journal: Practice and Research Consulting Psychology Journal: Practice and Research, Volume 58, Issue 2, Spring 2006
Behr, J.: Getting the Most Out of 360-Degree Reviews, Harvard Business Review, November 2019
Berry, C. M., The Five-Factor Model of Personality and Managerial Performance: Validity Gains Through the Use of 360 Degree Performance Ratings, in: Journal of Applied Psychology, Volume 94, Issue 6, November 2009
Buckingham, M.: Reinventing Performance Management. Harvard Business Review 2015
Collins, E., 360° Mentoring, The ideal mentor is a network of mentors, Harvard Business Review, March 2008 (Empfehlung zur Weiterentwicklung des 360-Grad-Feedback)
Carson, M., Saying it like it isn't: The pros and cons of 360-degree feedback,
Business Horizons, Volume 49, Issue 5, September-October 2006, Pages 395-402
Fleming, J. et al., Manage Your Human Sigma, in: Harvard Business Review, July-August 2005
Good, B., and Coombe, D., Giving multisource feedback a facelift, in: Journal of Change Management, No. 1/2009
Harvard Business Review: Leader's Handbook. Boston, 2019
Henry, Sallie M., Using Berlin’s leadership role to improve team effectiveness: An empirical investigation, in: The Journal of Systems and Software 44 (1999)
Higgins, R. S., et. al., 360-Degree feedback survey to assess faculty competency in a cardiothoracic surgery practice, in: Journal of Surgical Research, Vol. 137 (206), Issue 2
Kaplan, R. und Kaiser, R., Stop Overdoing Your Strengths, in: Harvard Business Review, February 2009
Kets de Vries, M. u. a., (ed.), Coach and couch: The psychology of making better leaders, London, 2007
Lepsinger, R. und Lucia, D., The art and science of 360 degree feedback, 2nd edition, San Francisco, 2009
LeDoux, J., Das Netz der Persönlichkeit, München 2006
Maylett, T., 360-degree feedback, The transition from development to appraisal, in: Compensation and Benefits Review, September 2009
Mosher, B., The right feedback, in: Chief Learning Officer, March 2010
Pelz, W., Das 360-Grad-Feedback zur Erkennung und Entwicklung von Potentialträgern, in: Sauer, J./Cisik, A. (Hrsg.): In Deutschland führen die Falschen, wie sich Unternehmen ändern müssen. Berlin: Helios Media 2014 (pdf download)
Pelz, W., Auf die Probe gestellt (Transformationale Führungskompetenzen), in: Personalmagazin Nr. 1/2013 (pdf download)
Pelz, W., Die 360-Grad-Beurteilung von Führungskräften (White Paper). Link: 360-Grad-Beurteilung
Pelz, W., Das 360-Grad-Feedback: beliebt, wirksam und objektiv - was bei der Kompetenzbeurteilung von Nutzen ist und wo die Fallen lauern, in: HR Today Special 4/2011 (pdf download)
Pelz, W., Das 360-Grad-Feedback zur Beurteilung von Managementkompetenzen (Forschungsbericht als pdf download)
Predescu, S. V., Learning in industrial organizations - a multisource feedback study, in: Procedia - Social and Behavioral Sciences, Volume 2 (2010), Issue 2
Roth, G.: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart 2019
Spencer, L. M., Competence at work: models for superior performance, John Willey & Sons, 1993
Waldman, D. u. a., Has 360° feedback gone amok, The Academy of Management Executive, Vol. 2 (1993), No. 2
Waldman, D. A. and Atwater, L. E., Does 360°-Feedback Impact Organizational Performance? The Power of 360° Feedback, 1998, Pages 116-127
Yee, R. et al., An empirical study of employee loyalty, service quality and firm performance in the service industry, in: Int. J. of Production Economics, 2010
Yukl, G., Leadership in Organizations, 8th Edition, Pearson, 2020